Pyrolator – nach Neuland kommen nun Inland und Ausland


Vor wenigen Monaten veröffentlichten wir mit “Neuland” das erste Pyrolator-Soloalbum seit 24 Jahren, nun folgen in unserer neu aufgelegten ata-tak-Wiederveröffentlichungsreihe am 9. März die beiden Solodebuts “Inland” (1979) und “Ausland” (1981). Die Reissues erscheinen auf CD, Vinyl (180g) und Download.
„Inland“ ist der musikalische Kommentar zu der von Paranoia und Gewalt geprägten späten siebziger Jahre in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist eines der radikalsten, modernsten und unversöhnlichsten Alben nicht nur der damaligen Zeit. Schon das Cover illustriert die Atmosphäre im Jahre 1979 in der BRD auf treffliche Weise: Grau- und Brauntöne statt bunter 70er-Jahre-Seligkeit. Die politische Situation in West-Deutschland ist aufgeladen. Der Krieg, den die Rote Armee Fraktion (RAF) und der Staat gegeneinander führen, eskaliert mit der „Offensive 77“ und dem Deutschen Herbst. Die Aufbruchstimmung, welche die ersten Jahre der Kanzlerschaft Willy Brandts und der sozialliberalen Koalition bestimmte, endete in der „bleiernen Zeit“. Die Teilnahme an einer Demonstration gegen Berufsverbote konnte zu selbigen führen, und die Chancen, in eine Terroristenfahndung zu geraten und in den Lauf einer Maschinenpistole zu blicken, waren gerade für jüngere Menschen recht hoch.
Pyrolators Ziel war es, ein Protestalbum zu machen, und zwar eins weitab von jeglichen Konventionen. Die völlige Abwesenheit von gewohnten musikalischen Strukturen und die unvermittelt auftauchenden Geräuschaufnahmen schaffen eine beklemmende, klaustrophobische Atmosphäre. „Inland“ ist gleichzeitig eine Absage an die neue Form des Protestliedes, des heiseren verzweifelten Geschreis der Punkrocker, als auch eine
Absage an die herkömmliche Form des Protestliedes, wie sie bis weit in die 1980er von den Barden des grün-alternativen Milieus gepflegt wurde.
Darüber hinaus prägt „Inland“ jedoch noch etwas anderes: die Lust am Neuen, die Lust am Experimentieren und die Lust daran, den eigenen Horizont und den der Mitmenschen zu erweitern. Diese Lust durchzieht das Werk des Pyrolators von seinem Debüt „Inland“ bis zu seinem aktuellsten Album „Neuland“ (erschienen 2011 auf Bureau B). Und so ist „Inland“ trotz des Protestes und der Verneinung ein positives Album. Denn in jedem „Nein“ steckt schließlich ein „Ja“ zu etwas anderem. Vielleicht sogar zu etwas Besserem.
Tracklisting:
1. Miminal Tape 1/2.3
2. It Always Rains In Wuppertal
3. Inland 1
4. Minimal Tape 1/8
5. Danger Cruising
6. Inland 2
7. Inland 3
8. Minimal Tape 3/7.2
9. Bärenstrasse
10. Have A Good Ride
11. Inland 4
12. Nordatlantik
BONUS:
13. Der Volksmund wird beatmet
14. Struktur 01
15. November Mühlheim
16. OK Margo
17. Die Einsamkeit des Langstreckenläufers
18. Struktur 22
Nur zwei Jahre liegen zwischen Pyrolators 1979 erschienenem Debüt „Inland“ und „Ausland“ aus dem Jahre 1981, und doch könnten die beiden Alben unterschiedlicher kaum sein. Reflektiert „Inland“ noch den industriellen Verfall und den politischen Ausnahmezustand der Jahre 1977 ff. in der Bundesrepublik Deutschland, handelt es sich bei „Ausland“ um ein heiteres, verspieltes und dennoch wegweisendes Popalbum.
Entscheidendes hatte sich seit 1979 getan: Das von Pyrolator mitgegründete Label Ata Tak erlebte mit Veröffentlichungen wie dem Debütalbum von Der Plan (auch hier war Pyrolator Mitglied), Andreas Doraus Hitsingle „Fred vom Jupiter“ oder Holger Hillers Debütsingle eine Blütezeit, und Pyrolator begab sich auf seine erste große USA-Reise. In Los Angeles traf Pyrolator auf die Los Angeles Free Music Society (LAFMS). Dieses Kollektiv lotete die Grenzen zwischen Noise und Industrial auf der einen und Easy Listening auf der anderen Seite aus. Diese Mischung aus elektronischen Elementen und vermeintlich abseitiger Popmusik vergangener Epochen zieht sich wie ein roter Faden durch die Ata-Tak-
Veröffentlichungen und ist in der Rückschau eines der Markenzeichen des Labels.
Ein weiterer Unterschied zu „Inland“ ist, dass an den Aufnahmen zu „Ausland“ eine Vielzahl von Musikern beteiligt war. In den USA spielte Pyrolator zusammen mit dem Designer Chris Lunch und dessen Bruder als Vorgruppe von Acts wie DNA und X. Hier reifte sein Entschluss, das nächste Album nicht allein zu produzieren, sondern mit anderen Musikern und Technikern zusammen. Mithilfe des genialen Tüftlers Werner Lambertz, welcher eine Art Frühform des Midi namens „Brontologik“ entwickelte hatte, und seinem Ata-Tak- und Plan-Mitstreiter Frank
Fenstermacher nahm Pyrolator die Backing-Tracks auf, über welche die Gastmusiker ihre Overdubs spielten.
Als „Ausland“ veröffentlicht wurde, waren sich Kritiker einig. Von der fortschrittlichen „Sounds“ über den eher traditionellen „Musikexpress“ bis hin zum britischen „New Musical Express“ (NME) wurde das Album gefeiert. Der NME nannte Pyrolator völlig zu Recht einen „great pioneer“. Und das ist er bis heute.
Tracklisting:
1. Max
2. Die Haut der Frau
3. Mein Hund
4. Elefantendisco
5. Fricandel Speciaal
6. Gold & Silber
7. Bacano, Brothercito
8. 180°
9. True Love
10. Studio Fatal
11. Cassiopeia
12. Du bist so … ich träume
BONUS:
13. Vati, es brennt
14. Happiness
15. Danger Cruising Part II
16. True Love Part 1
17. Ein Weihnachtsmann kommt in die Disco
18. Hirnriss
19. Abendmahl (nicht auf Vinyl)
20. Program No. 1 (nicht Vinyl)
Buero B – http://www.bureau-b.com/

Post Author: MMagazin

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