Retrospektive – neu von und mit Erdmöbel


Man kann Erdmöbel nicht erklären. Zum Einen ist es schlicht unmöglich, zum Anderen verbietet es sich: Schönes nimmt man nicht auseinander und enträtselte Rätsel sorgen doch zumeist nur für lange Gesichter. „Du kannst uns alles fragen, aber wir werden dir keine brauchbaren Antworten geben“, sagt Ekki Maas, als wir im dezent angerümpelten Erdmöbel-Studio sitzen.
Und Markus Berges erzählt die Geschichte von dem Fan, der die Entstehungsgeschichte einer seiner Songtexte erfahren wollte und dann schrecklich enttäuscht war, als Berges sie ihm dann erzählt hatte. Also: Lieber nicht fragen. Besser, man denkt sich etwas aus.
Man könnte sich beispielsweise Markus Berges als Wortaufklauber vorstellen. Als einen, der bei frühstückenden Pärchen im Café am Nebentisch sitzt, vielleicht ein Birchermüsli isst und in einem Buch blättert, dabei jedoch mit diskret halb aufgestelltem Ohr hinhört und sich in Gedanken Wörter wie „Nussbaumfurnier“ notiert. Später, vielleicht beim Spazierengehen entlang des Rheins (der, wie ich finde, erfreulich oft in den an Geografie-Verweisen ohnehin sehr reichen Erdmöbel-Liedern vorkommt, aber das nur am Rande), später also könnte Berges dieses Wort dann vor sich hin singen: „Nuss-baum-furnier“. Es ist ein schönes Wort, es birgt eine ganze kleine Melodie. Ebenso wie „Rhabarberbeeten“, „Schiffschaukelbremser“ oder auch der Name „Audrey Hepburn“. Das kann der Mann mit dem Look eines französischen Nouvelle-Vague-Regisseurs wie kein Zweiter: in eigentümlichen Wörtern Musik finden. Darum klingt es auch nie, als stelle er diese Wörter nur als Kuriositäten aus. Wenn Berges „Nussbaumfurnier“ oder „Regenschirmetui“ singt, dann sind es gerade diese Begriffe, die berühren.
Und so entstehen dann womöglich diese unfassbar musikalischen Texte, diese Verwebungen von Klingwörtern, die einen so umhauen können, wie das eben nur ein „Polarlicht von Palermo“ vermag. Berges macht mit Wörtern Musik, er benutzt Sprache als Instrument, so wie Ekki Maas seinen Bass als Instrument verwendet. Ich behaupte das einfach mal so. Berges hat mir das nicht gesagt, das würde er nie tun. Wie gesagt: Keine Erklärungen. Oder wie Erdmöbel in „Wort ist das falsche Wort“ singen, jenem Stück, das klingt, als würde es alle Gefühle der Welt enthalten: „Wort ist das falsche Wort / Es ist mehr Akkord / Ach, ist unsagbar schwer zu sagen“. Akkord: Das gleichzeitige Erklingen mehrerer Töne, die sich harmonisch zusammenfügen, darum geht es hier. Um den Zusammenklang einzelner Töne, das Grundwesen von Musik, wenn man so will.
Man kann sich aber auch etwas anderes ausdenken: Zum Beispiel, wie Pianist Wolfgang Proppe mittendrin einen DVD-Abend mit Freunden platzen lässt, weil ihn beim Betrachten des Films „Die Abenteurer“ die Soundtrackmusik von François de Roubaix zu einem Klavierthema inspiriert. Welches er wiederum gleich Ekki Maas schickt, der findet, dass sich ein tänzelnder McCartney-Bass wunderbar mit Proppes Idee verstehen könnte. Ich sehe sogar Schlagzeuger Christian Wübben auf einer sonnigen Dachterrasse sitzen und eine Rumbanuss zu einem warmen elektronischen Klang schütteln, der aus einem seltsam aussehenden, auf seinem Schoß liegenden kleinen Gerät zirpt.
Wenn ich mir die „Retrospektive“ dieser Band anhöre, dann fällt mir vor allem Eines wieder auf: Erdmöbel haben – egal ob nun in Berges’ Texten oder in diesem wunderbar leichten Spiel der Instrumente – eine Musikalität erreicht, die beispiellos ist. Denn auch die Musik, die bald wie kölscher Bossa Nova, bald wie niederrheinischer Westcoast-Pop, im einen Moment wie französischer Dub, im anderen wie Lounge-Musik für Kunstausstellungen, mal wie Housemusik zum Nichttanzen, mal wie Rockmusik zum Tanzen klingt, hat aufgrund ihrer „Indierock“-fernen Einflüsse immer etwas Rätselhaftes, aber auch etwas anheimelnd Exotisches. Etwas jedenfalls, wofür es den wahren Musiker bedarf.
Man müsste also eigentlich, statt Berges’ ununterbrochen nach dem verborgenen Sinn oder der Entstehung seiner Texten zu befragen, die Mitglieder hinsichtlich der Herkunft und Bedeutung irgendwelcher Akkordfolgen, Melodien und Rhythmen ausquetschen: Wo dieses und jenes Klavierthema herkommt, wann und wie sie auf diesen und jenen Rhythmus gekommen sind.
Das Große steckt hier stets im Kleinen, Erdmöbel spielen Detailmusik: So wie der Bass sich nur selten auf Grundtöne beschränkt, sondern melodiös umhertänzelt, so richten auch die Texte den Fokus auf die Nuancen, Details und Beiläufigkeiten, doch aus diesen ergibt sich ein Bild, wenngleich nicht immer ein scharfes. Gerade in der hier vorliegenden Songabfolge wird die neugierige Musikalität der Band besonders deutlich: Am Anfang steht „Der blaue Himmel“ und ein Piano-Sample, das klingt wie an einem heißen Tag von irgendwoher geweht und flatternd an irgendetwas hängengeblieben. Das Stück selbst gleitet langsam von berückendem Avantgarde-Pop auf den Tanzboden und Berges’ Text findet das Große im Alltäglichen. Oder später „Anfangsschwester heißt Ende“, das so seltsam sommermüde vor sich hinwogt und in dem Wörter wie „Krasnapolsky“ als akustische I-Tüpfelchen über die Musik tanzen. Oder „Dreierbahn“, das mir jedes Mal, wenn ich es höre, wie beim ersten Mal ein Grinsen ins Gesicht zaubert: vermutlich ein Lied über Euphorie, auch wenn sich die Gentlemen von Erdmöbel dazu wohl nie äußern würden. Am Schluss steht schließlich das swingende „Die Devise der Sterne“. Mein Lieblingswort in diesem Stück: „Bingen“. Keine Ahnung, warum – es klingt einfach so schön, fast so, als wäre man selbst dort.
Zwei der Lieder hier kreisen ganz wundersam um sich selbst, „Für die nicht wissen wie“ und „Lied über gar nichts“: Auch hierüber könnte man versuchen, Erdmöbel zu verstehen, denn diese Lieder verweisen letztlich auf nichts mehr als sich selbst. Sie haben kein Thema und sind damit im Grunde Musik in ihrer Reinform. Um was sonst soll es denn bitte gehen als um das, was in dem Moment, in dem die Musik läuft, beim Hörer entsteht? Dazu ist Musik immer da gewesen und wird es immer sein. Das erste Lied hat keinen rechten Adressaten, das zweite möchte von nichts handeln. Trotzdem erreichen beide den Hörer, trotzdem lassen beide Sinn entstehen. Dass dies nicht anstrengungslos geht, steht auf einem anderen Blatt: Es ist bei aller Federleichtigkeit dieser Musik immer zu erahnen, wie sehr diese Stücke durchgeputzt wurden, wie die Band dem Text und der Musik jedes Zuviel ausgetrieben hat.
Man sollte meinen, dass diese so vorsätzlich unrockende Band zu Gitarren-getriebenen Brett-Stücken eigentlich gar nicht in der Lage sein sollte. Aber ein frühes Stück wie „Wurzelseliger“ zeigt nicht nur, dass sie auch geradlinigen Power-Pop beherrschen, es veranschaulicht zudem, welch weiten Weg sie gegangen sind.
Dieser Satz ist nicht bestellt, er kommt von Herzen und man ahnt es wohl schon längst: Von allen hiesigen Bands sind mir Erdmöbel die Liebste. Aus einem einfachen Grund. Ich habe im Laufe meines Lebens gemerkt, dass die Musik, die Filme und die Bücher, die ich gernhabe, etwas gemeinsam haben, nämlich dass sie Fragen entstehen lassen, auf deren Beantwortung ich nicht unbedingt hoffen kann. Man kann sich etwas dazu ausdenken, weil nicht alles offen herumliegt. Aus diesem Grund mag ich Erdmöbel so gerne. Sie sind eine Band, deren Musik wunderbar funktioniert als Gegengift gegen die Durcherklärtheit der Welt.
http://www.erdmoebel.de/
MPN
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Post Author: MMagazin

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