Auf den ersten Blick kann es durchaus passieren, dass man sich ein völlig falsches Bild von Lissie macht. Mit Leichtigkeit kann man die schlanke, blonde, hübsche Gitarristin für ein ganz normales, niedliches Mädel aus dem mittleren Westen halten, eine sommersprossige Liedermacherin aus dem Land der Milch, der Kekse und der Kornfelder.
Doch mitnichten. Trotz ihrer flachsblonden Haare und den großen blauen Augen, die einen durch und durch harmlosen Eindruck erwecken, ist dieses Girl smart und tough, und verfügt über eine außergewöhnliche Stimme: ein Organ wie Stevie Nicks, die Neko Case beim Schlawittchen packt, das nach verrauchtem Lagerfeuer und Bourbon klingt – und ganz zweifellos nur das Resultat von zehn Jahren Bier- und Zigaretten-Konsum sein kann.
Geboren wurde Lissie in Rock Island, Illinois, einer der „Quad Cities“ am Ufer des Mississippi. Die Stadt lieferte die Inspiration zum Lonnie-Donegan-Klassiker „Rock Island Line“ und brachte den Jazz-Musiker Bix Beiderbecke hervor. Es ist die Gegend der Springfluten, der Pick-Up-Trucks und der echten Arbeiter-Country-Musik.
„Die Leute wollen oft diese Seite von mir in den Vordergrund stellen“, sagt Lissie, „aber wir saßen nicht auf unserer Veranda herum und feierten ein Volksfest, als wir das Album schrieben. In meiner Jugend hörte ich Gangster-Rap, wie Millionen von anderen Teenagern in Amerika auch. Viele von diesen Sounds und Erfahrungen haben mich beeinflusst und meine Musik inspiriert.“
Nachdem sie einige Zeit lang Songs nur für sich selbst geschrieben hatte, nahm sie während ihrer Studienzeit an der Colorado State University einen Track mit einem lokalen Electronic-DJ auf, der irgendwie den Weg ins Fernsehen fand und als Soundtrack der Serien „OC, California“, „Veronica Mars“ und „Dr. House“ zum Einsatz kam. Lissie verbrachte ein Semester in Paris, lernte Französisch und Fotografieren, schrieb und spielte weitere Songs und als sie aus Frankreich zurück kehrte, beschloss sie, die Uni komplett hinzuschmeißen, nach Los Angeles zu ziehen und tatsächlich einen Versuch zu starten, Karriere als Musikerin zu machen.
In Los Angeles trat sie in Bars auf, sowohl im Rahmen von Showcases als auch auf regelmäßiger Basis, an manchen Abenden bestand das Publikum allerdings gerade mal aus einer Person. Im Frühjahr 2006 rief sie dann ihren eigenen Abend, die „Beachwood Rockers’ Society“, ins Leben – zusammen mit einem befreundeten Musiker in Crane’s Hollywood Tavern. Nach und nach kam eins zu anderen: zusammen mit ihrem Freund Bill Reynolds von der Band Of Horses nahm sie eine EP mit fünf Stücken auf, die den Namen „Why You Runnin’” erhielt und in den USA im vergangenen Jahre einen mittleren Hype erzeugte.
Sie fuhr nach Nashville, um mit Produzent Jacquire King aufzunehmen, der gerade seine Arbeit mit den Kings Of Leon beendet hatte. „Manchmal war er schwierig, sich ein Bild über das Ganze zu machen; wie er sich das Feeling und den Sound vorstellte“, gibt Lissie heute zu, „aber heute ich bin stolz darauf, was dabei heraus gekommen ist und ich schaue nach vorn auf den Weg, der vor mir liegt.“ Was dabei heraus kam, war der Großteil der Songs ihres Debütalbums „Catching A Tiger”, dessen elf Stücke von bluesigem Folk bis hin zu straightem Pop reichen und ihre bemerkenswerte Stimme als auch ihren Stil als Songwriter demonstrieren.
Wir finden jedenfalls, Lissie macht nette und niedliche Musik, aber gar nicht so normal…
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